„Die eine Familie gibt es nicht“, betonte Prof. Dr. Irmgard Förster, Prorektorin für Chancengerechtigkeit und Diversität, zur Eröffnung der Veranstaltung. Die Uniangehörigen seien so vielfältig wie ihre Familienmodelle: Patchwork-Familien, Regenbogen-Familien, klassische Kleinfamilien, Alleinerziehende mit Kindern, Mehrgenerationen-Arrangements. Care-Arbeit werde dabei immer noch zum Großteil von Frauen geleistet, was oft auch zu deren Drop-out in der wissenschaftlichen Karriere führe. „Wir wollen Strukturen schaffen, die Vereinbarkeit verbessern“, bekräftigte Förster.
Entsprechend veranstalteten das Prorektorat und die Stabsstelle für Chancengerechtigkeit und Diversität dieses Mal die Diversity Days gemeinsam mit dem Familienbüro der Uni Bonn. „Wir beraten alle Familienkonstellationen individuell und vertraulich“, erklärte Karin Kick, Leiterin des Familienbüros. Die Universität Bonn stellt unter anderem 144 Kita-Plätze und elf Eltern-Kind-Räume zur Verfügung. Doch nicht nur beim Thema Kinderbetreuung können sich Uniangehörige an das Familienbüro wenden, sondern auch wenn es um Pflege geht. So organisiert das Familienbüro beispielsweise einmal im Monat eine Austauschgruppe für pflegende Angehörige.
Queere Communities bieten Rückhalt und Solidarität
Die Diversity Days 2025 fanden in Kooperation mit dem Queeren Netzwerk NRW statt und wurden von einer Gebärdensprachverdolmetschung und einer Verdolmetschung ins Englische begleitet. Eine Session über „(Wahl-)Familien und queere Communities“ weitete den Blick auf Familienmodelle jenseits der klassischen heteronomativen Kleinfamilie mit Vater, Mutter und Kind(ern). Leah Petersen berichtete von einem Promotionsprojekt zu Diskriminierung von trans* Personen im Elternhaus. Die allererste Reaktion von Eltern, wenn sich ihr Kind als trans* oute, sei meist negativ. Diese Ablehnung seitens des Elternhauses aber auch der Gesellschaft führe dazu, dass trans* Menschen ein deutlich höheres Risiko für psychische und physische Erkrankungen haben, wie Leah Petersen ausführte. Queere Communities seien eine wichtige Unterstützung für trans* Menschen, lautete das Fazit.
Um die ging es im Vortrag von Sascha Sistenich, der an der Universität Bonn zu solidarisch queeren Gemeinschaften forscht. Queere Wahlfamilien geben den Menschen, die er im Rahmen seiner Doktorarbeit interviewt hat, oft Rückhalt und Geborgenheit und werden so zu Communities of Care, die etwa bei der Transition unterstützen, medizinische Versorgung organisieren oder bei Konflikten mit der Gesellschaft helfen. Als Beispiel dienten die „Houses“ der Ballroom-Community, die im Zuge der AIDS-Krise in New York durch die Schwarze und Latinx trans* Community entstanden sind und neben familiärer Zugehörigkeit auch Schutz vor Diskriminierung und Gewalt boten. Solche Communities of Care seien teils auch in Wohngemeinschaften zu erkennen, die damit ein alternatives Modell zu klassischen Familien böten – nicht nur für queere Menschen.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion nahm Elissar Zanubia El-Marouk (Projekt Kiki & t*, Integrationshaus e.V.) Bezug auf Ballroom als wichtige Ressource für trans* Bi_PoCj (Black, indigenous, People of Color, jüdische Personen), sowie auf die Notwendigkeit weiterer Beratungsangebote und Safe Spaces für queere Menschen mit Rassismuserfahrungen. Lenny Streit (Queeres Netzwerk NRW, Projekt Trans*sensibel) machte deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit trans* und Nicht-Binarität u.a. in der Verwaltung zu mehr Sensibilität beitragen kann und somit hilft, Diskriminierung abzubauen. Weiter debattierten Leah Petersen und Sascha Sistenich, wie Universitäten ein Umfeld schaffen können, in dem sich auch queere Menschen sicher und akzeptiert fühlen. Leah Petersen regte etwa an, dass Dozierende zu Beginn von universitären Veranstaltungen ihre Pronomen nennen könnten, um so einen niedrigschwelligen Anreiz zu geben, sich mit Diskriminierung zu beschäftigen. Außerdem empfahl Leah Petersen, Veranstaltungen und Strukturen, die queere Menschen sichtbar machen, auszubauen und krisensicher zu machen sowie Engagement aus der Studierendenschaft zu queeren Themen zu stärken.
Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft verbessern
Anschließend gaben Dr. Sarah Czerney und Dr. Lena Eckert in ihrer Lesung „Elternschaft und Wissenschaft – Wege aus der Unvereinbarkeit“ einen Einblick, mit welchen strukturellen Benachteiligungen vor allem Mütter* nach wie vor an Universitäten zu kämpfen haben. So orientiere sich das Wissenschaftssystem mit befristeten Arbeitsverträgen, flexibler Projektarbeit und hohem Publikationsdruck an einer Lebensweise, in der Care-Arbeit keine Rolle spiele. Entsprechend sind noch immer mehr als 70 Prozent der Professuren in Deutschland mit Männern besetzt. Viele Frauen steigen wegen dieser Hindernisse irgendwann aus ihrer wissenschaftlichen Karriere aus – in Deutschland sind es in MINT-Fächern etwa die Hälfte.
Einen Ort für Austausch über diese Probleme haben Czerney und Eckert mit dem Netzwerk Mutterschaft & Wissenschaft geschaffen. Hier teilen 800 Wissenschaftler*innen auch, welche individuellen Lösungen sie für sich gefunden haben, Wissenschaft und Familie zu vereinbaren, und werden so zu Role Models für andere. Am zweiten Tag der Diversity Days konnten die Teilnehmenden in einem Workshop selbst aktiv werden. In Schreibübungen reflektierten sie die strukturellen Bedingungen für Menschen mit Kinder(wunsch) in der Wissenschaft und tauschten sich dazu aus, wie die Vereinbarkeit verbessert werden kann. Außerdem entwickelten sie gemeinsam Ideen, wie die Universität Bonn Forschende und Lehrende mit Familienverantwortung noch stärker fördern kann, beispielsweise über verstärkte Netzwerkmöglichkeiten für queere Eltern, eine Angleichung der Semester- an die Schulferien oder die Anerkennung von Mutterschaft in Berufungsverfahren.
World Café zur Diversitätsstrategie
Am zweiten Tag der Diversity Days diskutierten über 40 Universitätsmitglieder in einem World Café den aktuellen Entwurf der Diversitätsstrategie der Uni Bonn. Es war ein angeregter und offener Austausch zu den fünf Teilstrategien zu Antidiskriminierung, Bildungsgerechtigkeit, Familiengerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit sowie Inklusion und Teilhabe. Bei der Moderation unterstützten Netzwerkpartner*innen aus dem Gleichstellungsbüro, der Zentralen Studienberatung, dem Familienbüro und der Forschungsstelle Diversität der Philosophischen Fakultät. Die Diskussionen dienten der Klärung von Fragen, der Priorisierung der Maßnahmen aus der Strategie und dem Identifizieren von Lücken. Das World Café war der Abschluss der Reihe von Werkstattgesprächen, die bereits im Wintersemester 2023/24 im Rahmen der Strategieerarbeitung stattfanden. Die Diversitätsstrategie wird im Sommer 2025 fertiggestellt.
Abgeschlossen wurden die Diversity Days durch ein geselliges Netzwerktreffen mit Akteur*innen aus dem Bereich Chancengerechtigkeit und Diversität an der Universität Bonn.